Der deutsche Autor Michael Kleeberg lebt und arbeitet im Sommer 2019 als Residenzgast im Aargauer Literaturhaus. Er agiert kulturell als Bindeglied zwischen West und Ost, zwischen Ländern und Sprachen.
Als Michael Kleeberg im Jahr 2002 zum ersten Mal in Beirut aus dem Flugzeug stieg, war ihm wohl noch nicht bewusst, was diese Reise für ihn bedeuten würde. Der Schriftsteller erinnert sich noch genau, wie sich diese Begegnung mit einer neuen Welt anfühlte, um vier Uhr morgens am Flughafen. Die Luft, wie ein Seidenschal auf der Haut, die Mondsichel, die am Himmel über ihm schwamm.
Kleeberg war damals Teil eines west-östlichen Austauschprogramms für Schriftsteller, das nach den Anschlägen am 11. September 2001 ins Leben gerufen wurde, um das gegenseitige Verständnis der Kulturen zu fördern. Er bildete ein Paar mit dem libanesischen Schriftsteller Abbas Beydoun, den er in Beirut besuchte und deren Freundschaft bis heute besteht. Der erste Aufenthalt in Libanon war für Kleeberg ein lebensveränderndes Erlebnis, wie er am Telefon erzählt. «Ich habe mich in das Land und die Leute verliebt, und aus diesem einen Besuch sind viele weitere geworden.»
Arbeit als Krankenpfleger
Es fiel dem 59-Jährigen noch nie schwer, sich auf andere Länder einzulassen. Er lebte bereits in Paris, in Amsterdam und eine Zeit lang in Rom, wo er mit Anfang 20 seinen ersten Erzählband schrieb. «Ein guter Jugendfreund sagte mir eines Tages, wenn man schreiben wolle, dann müsse man mit Kurzgeschichten beginnen.» Es war derselbe Freund, der den Jugendlichen Michael Kleeberg für das Lesen begeisterte.
Zwischen dem 16. und 20. Lebensjahr arbeiteten sich die beiden durch die internationale Literatur, wobei sich Kleeberg besonders für Ernest Hemingway begeisterte. «Als wir dann begannen, abwechselnd Geschichten zu schreiben, war ich für jeden bürgerlichen Beruf verloren.»
Schliesslich studierte Kleeberg Politikwissenschaft und visuelle Kommunikation in Hamburg und arbeitete währenddessen als Krankenpfleger und als Schauermann im Hafen. Diese Erfahrungen prägen ihn und sein Schreiben bis heute. Danach folgten verschiedene Tätigkeiten als Journalist, später wurde er Mitinhaber einer Werbeagentur in Paris. Seit 1996 ist Kleeberg – «endlich!» – nur noch als Autor und Übersetzer tätig. «Wenn man gute Schriftsteller übersetzen darf, kann man immer noch etwas lernen», erzählt er. Doch nur ein Autor konnte Kleebergs Arbeit nachhaltig prägen: Marcel Proust. «Ihn zu übersetzen hat mein Schreiben nochmals extrem weitergebracht.»
Anlehnung an Goethe
Seit 2008 erhielt Kleeberg zahlreiche Auszeichnungen für sein Schaffen, darunter den Friedrich-Hölderlin-Preis für sein Gesamtwerk sowie den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Aufmerksamkeit erregten unter anderem sein Roman «Das Amerikanische Hospital» (2010) und die Trilogie über den Jedermann Charly Renn, dessen Leben und Gedanken Kleeberg in sämtlichen Facetten offenlegt. Heute gilt Kleeberg als einer der besten Stilisten der Deutschen Literatur.
Kleeberg liess sich lange Zeit, um seine Eindrücke aus dem Nahen Osten literarisch zu verarbeiten. In einem ersten Schritt veröffentlichte er 2004 sein Reisetagebuch «Das Tier, das weint». Schon damals war ihm aber klar, dass die Region noch ein belletristisches Werk verdient. «Ich wollte mich nicht auf den ersten, nicht auf den zweiten und nicht auf den dritten Eindruck verlassen.»
Letztes Jahr war es schliesslich so weit und Kleeberg veröffentlichte ein Werk in zwölf Büchern: «Der Idiot des 21. Jahrhunderts. Ein Divan». Er bezieht sich auf Goethes «Der west-östliche Divan», der vom Persischen Dichter Hafis inspiriert wurde. «Als ich 2014 das erste Mal im Iran war und an Hafis’ Grab stand, da war mir klar, welche Form mein Buch haben würde.»
Nach seiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Nahen Osten wird Kleeberg heute oft nach Einschätzungen gefragt, agiert als eine Art Botschafter zwischen den Welten. Diese Rolle, erklärt er, verdanke er seiner Einstellung, die er 2002 mit in den Libanon nahm: «Die Offenheit und Neugier, die ich damals hatte, waren wohl mein grösstes Kapital.»
Dieser Artikel ist in der Aargauer Zeitung vom 7. Mai 2019 erschienen.