Ein Einbrecher steht vor Gericht. Er schweigt beharrlich, wie ihm sein Anwalt geraten hat. Die Beweise, die ihn hinter Gitter bringen, liefert nicht selten die Kriminaltechnik. Wie diese hoch spezialisierte Abteilung arbeitet, zeigt diese Reportage.
Ein Einbruch in eine Stadt-Villa, ein Überfall bei der Bank, eine Schiesserei auf offener Strasse. Verbrecher hinterlassen Spuren, die nicht selten zu ihrer Verurteilung führen. Zuständig für das Sichern dieser Spuren ist die Kriminaltechnik. In Basel ist die Abteilung der Kriminalpolizei angegliedert. «Wir sind die einzige Staatsanwaltschaft in der Schweiz, welche kriminalpolizeiliche Ermittlungen durchführt», erklärt Sprecher Peter Gill.
Die kriminaltechnische Abteilung in Basel-Stadt besteht aus 17 Personen, davon 12 Kriminaltechniker. An 365 Tagen im Jahr, 24 Stunden täglich, ist jemand von ihnen einsatzbereit. Sie sichern sämtliche Spuren am Tatort, untersuchen Kleidung und Gegenstände und halten alle Ergebnisse peinlich genau fest. Leiter Markus Looser und sein Stellvertreter rücken aus, wenn ein besonders schweres Verbrechen passiert ist. «Dafür kommen wir auch aus unserer Freizeit an den Tatort», erklärt Looser.
Harter Job
Kriminaltechniker sind ehemalige Polizisten, die eine teure und langwierige Ausbildung mit Lehrgängen in der Schweiz und im Ausland absolviert haben. Sie sind Allrounder, die sich unter anderem mit Textilien, Chemikalien und
Waffen auskennen. «Sie müssen belastbar sein und bereit, sich ständig weiterzubilden, um die hoch spezialisierten Arbeiten zu verrichten», sagt Gill. Was Kriminaltechniker in ihrem Arbeitsalltag antreffen, ist meist nicht schön und die Techniken und Untersuchungsmethoden verändern sich ständig.
«Viele unserer Mitarbeiter haben ein Spezialgebiet. Manche kennen sich mit Waffen besonders gut aus, andere mit Fingerabdrücken oder Urkunden», erklärt Looser. Die kriminaltechnische Abteilung verteilt sich im Gebäude der Staatsanwaltschaft auf zwei Stockwerken. Neben Büros gibt es verschiedene Asservatenkammern, Labors und ein Fotostudio. «Ohne die Kriminaltechniker könnten viele Delikte, besonders die schweren, nicht geklärt werden. Die Kriminaltechnik ist somit eine sehr wichtige Sparte», sagt Gill. Die Ergebnisse der minutiösen Spuren-Untersuchungen seien in einem Strafverfahren unabdingbar, besonders dann, wenn kein Geständnis vorliegt und die Schuld eines Angeklagten bewiesen werden muss.
Qualität vor Zeitdruck
Je nach Fall arbeiten Kriminaltechniker unter hohem Zeitdruck. Bei grossem öffentlichem Interesse sind sie besonders gefordert. «Qualität steht bei uns aber stets an erster Stelle», so Looser. Der Abteilungsleiter räumt auch gleich noch mit einem Klischee auf: «Bei uns geht es nicht so schnell wie im Fernsehen, wo Fälle in sehr kurzer Zeit gelöst werden.»
Wie die Kriminaltechnik im wirklichen Leben arbeitet, zeigt dieser fiktive Fall:
1. Der Tatort
In Basel gab es eine Schiesserei. Ein Beteiligter ist tot, einer verletzt. Die Polizei trifft ein und sichert den Tatort. Ein Verdächtiger konnte auf der Flucht festgenommen werden. Eine halbe Stunde nach der Alarmierung durch die Polizei müssen die Beamten der Staatsanwaltschaft und Spezialisten vom Institut für Rechtsmedizin vor Ort sein, unter ihnen auch ein Kriminaltechniker. Ausserhalb der Bürozeiten kommt er direkt von zu Hause an den Tatort. Wenn er arbeitet, müssen alle anderen warten. Es ist besonders wichtig, dass keine neuen Spuren durch äussere Einflüsse entstehen. Der Kriminaltechniker trägt deshalb einen Schutzanzug.
Als Erstes fotografiert er die Szene aus allen möglichen Winkeln. Spuren wie die Tatwaffe oder einen Rucksack markiert er dabei mit Nummern. Er sichert Spuren an der Leiche und um sie herum. Bis zum Zigarettenstummel wird alles erfasst. Die verdächtige Person wird inzwischen abgeführt. Damit er keine Spuren an sich selbst verwischen kann, wird er untersucht und muss seine Kleider abgeben. Auch jeder Millimeter des Fluchtautos wird auf Fingerabdrücke, Fasern und andere Hinweise abgesucht.
2. Untersuchung

In einem braunen Papiersack kommen alle kleineren Gegenstände in die kriminaltechnische Abteilung für eine detaillierte Untersuchung. Hier gibt es verschiedene Stationen:
- Mithilfe von Chemikalien kann Markus Loosers Team auf der Tatwaffe oder auf dem Rucksack des Opfers Fingerabdrücke sichtbar machen. Für Kunststoff, Leder oder Holz gibt es verschiedene Verfahren.
- Mit einer speziellen Lampe beleuchten die Kriminaltechniker die Kleider von Opfer und Täter. Sie suchen nach Rückständen von Blut oder Körperflüssigkeiten. Dabei arbeiten Sie in getrennten Labors, damit sich keine Spuren vermischen können.
- Um festzustellen, ob die gefundene Schusswaffe das Opfer getötet hat, feuern sie die Waffen-Spezialisten der Abteilung testweise ab. Entweder ins Wasser oder in eine mit Watte gefüllte Kiste. Die Waffe hinterlässt Spuren auf dem Projektil, die man mit denen vom Tatort vergleichen kann.
Sämtliche Ergebnisse werden festgehalten. Auch, wenn eine Spur nicht brauchbar ist, gibt es einen Vermerk in der Akte.
3. Lagerung

Nach der Untersuchung in den verschiedenen Labors landen die Kleider von Täter und Opfer, der Rucksack und die Tatwaffe in einer der Asservatenkammern.
Alles wird nummeriert, mit einem Barcode versehen, verpackt und in eine der vielen transparenten Plastik-Boxen eingeordnet. In dem fensterlosen Raum wird es schnell sehr warm. Die richtige Verpackung ist wichtig, damit die Beweisstücke keinen Schaden nehmen. Immer wieder kommt es vor, dass etwas wieder hervorgenommen und erneut untersucht wird. Besonders dann, wenn neue Untersuchungs-Methoden eingeführt werden. Es kann sein, dass so ein jahrelang ungeklärter Fall doch noch gelöst werden kann.
Es gibt einen separaten Raum für Betäubungsmittel sowie einen für Waffen. Wer zutritt zum Waffen-Lager bekommt, ist stark reguliert. Dort liegen alle möglichen Schusswaffen, aber auch Messer, Wurfsterne, Schlagringe und Baseball-Schläger. Nicht alle Waffen werden nach Abschluss des Prozesses vernichtet. Einige werden behalten, als Vergleichsobjekte bei späteren Fällen.
4. Prozess und Vernichtung
Der Verdächtige, der vom Tatort geflohen ist, sitzt als Angeklagter vor Gericht. Inzwischen wurde er geschnappt, dem Zwangsmassnahmengericht zugeführt und in Untersuchungshaft gesteckt. Sein Anwalt hat ihm geraten, die Aussage zu verweigern. Nun ist es an der Staatsanwaltschaft, seine Schuld zu beweisen. Dabei führt sie unter anderem die Ergebnisse der Kriminaltechnik ins Feld.
Tatsächlich haben die Kriminaltechniker einige belastende Spuren gefunden: Fingerabdrücke auf dem Rucksack und der Lederjacke des Opfers deuteten auf einen Kampf hin. Schmauchspuren an den Händen des Angeklagten zeigen, dass er kurz vor seiner Festnahme eine Schusswaffe abgefeuert hatte. Auch seine DNA-Spuren belasten ihn.
Diese Indizien tragen dazu bei, dass der Angeklagte schliesslich zu einer Haftstrafe verurteilt wird. Das Gericht schliesst den Fall ab und ordnet an, die Beweisstücke aus der Asservatenkammer zu holen und zu entsorgen. Kann ein Fall nicht aufgeklärt werden, bleiben die Beweisstücke so lange in den transparenten Kisten, bis es eine neue Untersuchungsmethode gibt oder bis die Verjährung eintritt.
Dieser Artikel ist in der bz Basel vom 19.7.2018 erschienen. Bilder: Martin Töngi.