Der Badener Demian Lienhard beschreibt in seinem Romandebüt das Scheitern einer jungen Frau. Dabei verwischen Realität und Fiktion.
Alba hat Höhenangst. Deshalb kann sie nicht wie die anderen von der Brücke springen. Schon drei Mitschüler haben es in diesem Jahr getan. Aber Alba traut sich nicht, und deshalb liegt sie jetzt im Spital, wo ihre Geschichte beginnt. Die Geschichte, die der Badener Demian Lienhard in seinem Romandebüt «Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat», erzählt. Sie führt aus dem Spital direkt in Albas verkorkstes Leben.
Da ist die unterkühlte Beziehung zur Mutter, der Tod des Stiefvaters und die Sache mit ihrer Schwester. Wie es wirklich um Alba steht, damit hält der Autor jedoch lange hinter dem Berg. Nur häppchenweise rückt er die begehrten Informationen heraus. Man lernt Alba also kennen, als sie nach ihrem «Unfall» im Spital liegt. Alba kommt aus der Agglo-Gemeinde Neuenhof. Ein Umstand, den sie später gegenüber ihren Zürcher Freunden leugnen wird. Gerade hat sie sich in Jack verliebt, der eigentlich René heisst. Er ist so cool, dass er die Flusen in seinem Bauchnabel sammelt und aufbewahrt. Mit Champagner und Zigaretten besucht er Alba im Spital, oder sie drehen ein paar Runden in Jacks grünem Käfer. So weit, so sorglos.
Alba kann nicht Nein sagen
Doch es geht nicht lange und Albas Liebesglück mit Jack trübt sich, Eifersucht und Verdächtigungen gefährden die Zweisamkeit. Kommt man den Figuren auf den ersten Seiten noch nicht wirklich nahe, so zieht Alba einem im Verlauf der Geschichte immer mehr in ihren Bann. Sie gibt Einblick in eine von Schicksalsschlägen getrübte Vergangenheit und nimmt den Leser mit auf eine Reise von Hoffnungen und von noch mehr Rückschlägen.
Demian Lienhard schreibt so, wie Alba redet. Gerade heraus, in einfachen Worten, die einen an den Lippen der Erzählerin hängen lassen. Weitschweifige, liebevoll formulierte Gedankengänge und Erzählungen wechseln sich mit knappen Dialogen ab. Albas Stimme erzählt ohne Melancholie, mit kompromissloser Genauigkeit. Sie schreckt auch nicht vor den Stellen zurück, an denen es unschön wird. Und es wird unschön: Denn Alba kann nicht Nein sagen. Nicht zur ersten Zigarette, nicht zu ihrer ersten Linie Koks, nicht zu ihrem ersten Schuss Heroin.
Autobiografische Momente
Lienhard beschreibt ungeschönt die Flucht seiner Protagonistin, vor ihrer Vergangenheit, vor ihrer Mutter, vor sich selbst. Sie führt bis ins Zürich der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre, in die offene Drogenszene auf dem Platzspitz und dem Letten-Areal.
«Das Buch beinhaltet viele meiner eigenen Erfahrungen, in verschiedenen Figuren und Situationen», erzählt Lienhard. Er wuchs in Baden auf, besuchte die Kanti. Auch zu seiner Schulzeit stürzten sich Schüler von der Hochbrücke. Die absurden Situationen, die Alba auf Partys begegnen, hat Lienhard zumeist selbst erlebt, in Zürich und Berlin. So wie der Autor Fiktion und Realität vermischt, nimmt es auch seine Erzählerin mit ihren Berichten nicht immer genau: «Wenn ich den Leuten meine Geschichte erzähle, dann lasse ich einige Wahrheiten weg und füge andere hinzu», offenbart sie.
Lienhard will seine Leser damit herausfordern: «Ich wünsche mir, dass man sich auch noch Gedanken darüber macht, wenn man das Buch weggelegt hat.» Neben seiner Leidenschaft fürs Schreiben ist der 32-jährige Autor promovierter Archäologe. Zurzeit ermöglicht ihm ein Stipendium, ein Jahr lang Nord- und Ostafrika sowie den Mittleren Osten zu bereisen. Die ersten Kapitel seines Romans sind bereits 2016 entstanden, im Rahmen des deuteschen Literaturwettbewerbs «open mike».
«Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat» zeichnet ein spannendes Bild einer Achtzigerjahre-Jugend und besticht durch seine packende Sprache. Ein Buch, das man nicht so schnell vergisst.
Dieser Artikel ist am 27. März 2019 in der Aargauer Zeitung erschienen.