Trotz Pilz-Trend: Immer mehr Kontrollstellen gehen ein

Trotz Pilz-Trend: Immer mehr Kontrollstellen gehen ein

Der Solothurner Wald ist voll mit Pilzlern. Doch Pilzkontrolleure, die ihre Ausbeute überprüfen, gibt es immer weniger. Fachleute fürchten eine Zunahme der Vergiftungen.

Pilzeln liegt im Trend. Am vergangenen Wochenende waren laut Markus Flück mehr Autos im Wald als Pilze. Und dies, obwohl es ein schlechtes Pilzwochenende war und es praktisch nichts zu finden gab. «Als ich vor 30 Jahren als Pilzkontrolleur anfing, galt Pilzesammeln als Hobby für ältere Leute», erzählt Flück. Heute treffe er auch viele Jüngere und Familien an, die den Kindern etwas Action auf dem Sonntagsspaziergang bieten wollen.

Für viele Pilzler geht der nächste Schritt vom Wald zur Pilzkontrolle. Die Kontrolleurinnen und Kontrolleure in den Gemeinden sind ausgebildet und werden alle drei Jahre vom Kanton überprüft. Wer durchfällt, darf keine Kontrollen mehr anbieten.

60 Kontrollen pro Woche

Die gesammelten Pilze kontrollieren zu lassen, ist laut Pilzexperte Markus Flück ein Muss. «Auch dem besten Pilzler kann mal eine Verwechslung passieren», sagt er. Man könne einen Gallenröhrling leicht mit einem Steinpilz verwechseln oder einen falschen Eierschwamm mit seinem ungiftigen Namensvetter, dem «echten» Eierschwamm. Im schlimmsten Fall können essbare Champignons mit tödlich giftigen Knollenblätterpilzen verwechselt werden.

Vor rund 20 Jahren arbeiteten noch 33 Kontrolleurinnen und Kontrolleure in den Gemeinden. Die kantonale Lebensmittelkontrolle teilt auf Anfrage mit, dass sich die Zahl seit 2002 nahezu halbiert hat. Viele Gemeinden teilen sich heute eine Pilzkontrolle, einige verzichten ganz darauf. Zwischen Solothurn und Olten beispielsweise gibt es nur noch eine einzige, in Oensingen, die Markus Flück gemeinsam mit seinem Kollegen Urs Widmer betreut. Gemeinsam führen sie bei Hochbetrieb rund 60 Kontrollen pro Woche durch. Viel Arbeit für ein Nebenamt. Und eine grosse Verantwortung. Ein Fehler bei der Pilzkontrolle kann schwerwiegende Konsequenzen haben. «Dazu kommt, dass die Gemeinde einem jederzeit abschaffen kann», so Flück. Wer nehme schon eine Ausbildung und Prüfungen auf sich für eine Stelle, die nicht sicher sei: So erklärt sich Flück, dass nur noch wenige Pilzkontrolleure werden wollen.

Die Zahl der Kontrollstellen müsste eigentlich steigen.

Marionna Schlatter, Mediensprecherin Vapko.

Flück und Widmer sind mittlerweile für zahlreiche Gemeinden zuständig, seit kurzem auch für Niederbipp und Rumisberg auf Berner Boden. Dies, obwohl es in Niederbipp einen Pilzverein gibt. «Auch dort will niemand mehr diese Arbeit machen», so Flück. Es komme auch regelmässig vor, dass Leute aus anderen Gemeinden Pilze bringen, die nicht an die Kontrollstelle Oensingen angeschlossen sind. Für die Kontrolle Geld zu verlangen, fällt Flück schwer. Seiner Meinung nach sollte es so wenige Hürden wie möglich geben, wenn es um die Pilzkontrolle geht. Auch die Distanz zur nächsten Kontrollstelle zählt er dazu: «Alle aus dem Mittelgäu müssen jetzt nach Olten, im Thal gibt es keine offizielle Stelle mehr.»

Eine der Gemeinden, die seit 2014 keine Pilzkontrolle mehr anbietet, ist Wolfwil. Nachdem der Pilzkontrolleur verstorben war, entschied sich die Gemeindeversammlung, sich nicht an die Oltner oder die Oensinger Pilzkontrolle anzuschliessen. Die Nachfrage sei in den Jahren zuvor sehr klein gewesen, erklärt Gemeindeverwalter Paul Jäggi auf Anfrage.

Kontrolleure warnen vor Pilz-Apps

Der Rückgang der Kontrollstellen ist allerdings kein lokales Phänomen. Auch der Verband der Pilzkontrolleure Vapko beobachtet ihn. Rund 20 bis 30 Kontrollstellen verschwinden jährlich in der Schweiz. Seit der Änderung des Lebensmittelgesetzes 1992 sind Kantone und Gemeinden nicht mehr verpflichtet, Kontrollen anzubieten. Ähnlich wie in Wolfwil hörten in den letzten Jahren viele Kontrolleure altershalber auf und wurden nicht ersetzt. Die Vapko fürchtet, dass sich aufgrund fehlender Kontrollstellen künftig die Vergiftungsfälle häufen. Im Kanton Solothurn stellte die Vapko in den vergangenen Jahren eine Abnahme der Kontrollen fest. 2014 waren es 803, vier Jahre später noch 577. Dies sei ungewöhnlich, schreibt Mediensprecherin Marionna Schlatter. «Vor dem Hintergrund, dass immer mehr Menschen in die Pilze gehen, müsste die Zahl der Kontrollen eigentlich steigen.»

In einem Radiobeitrag von SRF warnte Schlatter kürzlich davor, Pilze über Fotos oder mithilfe von Apps zu kontrollieren. Darauf könne man sich nur sehr bedingt verlassen. Auch Markus Flück hat das Aufkommen der Pilz-Apps beobachtet. «Heute laufen viele nur noch mit dem Handy im Wald herum», so der Kontrolleur. Auch für ihn ist klar, dass eine App die Pilzkontrolle nicht ersetzen kann. Die meisten Leute, die zu ihm in die Kontrolle kommen, kennen bereits einige Pilzarten, so Flück.

Vergiftungen auf hohem Niveau

Wer sich auskennt, sucht gezielt nach wenigen, bestimmten Sorten. Selten komme es vor, dass jemand mit «Kraut und Rüben» bei ihm anklopfe. «Einmal ist ein Pärchen gekommen, die haben einfach alles mitgenommen, was sie im Wald gesehen haben», erzählt er. Sie hätten sich einen Gift-Cocktail zusammengesucht, am Schluss sei nur ein einziger Pilz essbar gewesen. Das Pärchen sei danach nie wieder gekommen.

Zu den Aufgaben der Pilzkontrolleure gehört auch, bei Vergiftungsfällen Pilzreste zu überprüfen, um den Ärzten bei der Diagnose zu helfen. Auch Markus Flück ist schon mehrmals bei solchen Fällen hinzugezogen worden. Im Kanton Solothurn sind die Vergiftungszahlen relativ klein, Tox Info Suisse registrierte 2018 weniger als 15 Fälle. Das Niveau ist jedoch gemäss Katharina Schenk, Oberärztin bei Tox Info, insgesamt hoch. Seit 2017 habe man mehr Fälle registriert als in den Jahren zuvor.

Markus Flück würde es begrüssen, wenn die Pilzkontrolle künftig wieder zum Service public gehören und so die Kontrollstellen gesichert würden. Seitens des Bundes gibt es aber keine Bemühungen in diese Richtung. Dort heisst es: Pilzeln ist Privatsache. 

Weniger Kontrollstellen, mehr Vergiftungen?

Die Anzahl Pilzvergiftungen hat schweizweit in den letzten Jahren zugenommen. Schon Anfang September registrierte die Vergiftungsnummer Tox Info Suisse 200 Vergiftungs- und Verdachtsfälle mehr als im Jahr 2018. Einen Zusammenhang zu den fehlenden Kontrollstellen konnte man nicht feststellen, die Zahlen hängen gemäss Tox Info insgesamt mit dem Trend zum Pilzeln und dem Pilz-Aufkommen zusammen.
Kontrollstellen: Beim Kontrolleur-Verband Vapko sind im Kanton Solothurn 12 Kontrollstellen registriert. Sie sind zu finden auf www.vapko.ch.

Dieser Artikel ist in der Solothurner Zeitung vom 10. Oktober 2019 erschienen. Symbolbild: Pixabay