Samaritervereine stehen vor einer ungewissen Zukunft

Samaritervereine stehen vor einer ungewissen Zukunft

Mitgliederschwund und Konkurrenz durch kommerzielle Nothelferkurse: Die lokalen Samaritervereine im Kanton Solothurn – aber auch die Dachverbände – sitzen in der Krise.

Anfang Jahr gaben die Balsthaler Samariter ihren Austritt aus dem Schweizerischen Samariterbund (SSB) bekannt. Der Verein nennt sich neu Sanitätsverein Balsthal und ist eigenständig. Dem Solothurner Kantonalverband bleiben Anfang 2020 noch 34 Vereine, vor zehn Jahren waren es rund 50.
Die Balsthaler Samariter kritisierten am Dachverband vor allem die gestiegenen Abgaben und Kurskosten. Dafür werde den Vereinen immer weniger geboten. Kantonalverbandspräsidentin Silvia Stöckli wusste schon im Frühling 2019 von den Austrittsabsichten. Für sie sei dann aber bereits klar gewesen, dass in dem Fall nichts mehr zu machen war. «Die Begründung für den Austritt kann ich so nicht ganz teilen», sagt sie.

In den letzten 20 Jahren hätte man die Abgaben, welche die Vereine an die nationale Organisation leisten, nicht erhöht. Jüngst habe man sie jedoch anpassen müssen. «Der Kantonalverband gibt vier Rappen pro Einwohner an den Schweizerischen Samariterbund ab. Dieser Betrag wird nicht kleiner, wenn die Vereine weniger werden», so Stöckli. Diese Mehrbelastung habe man früh kommuniziert und die meisten Vereine hätten sie gut aufgenommen. Lediglich über den Zeitpunkt der Erhöhung liesse sich diskutieren. «Vielleicht hätte man nicht so lange damit warten sollen», meint Stöckli. «Da muss ich mich wohl selbst an der Nase nehmen.»

Vorstandspositionen zu besetzen, wird immer schwieriger

Balsthal ist nicht der erste Verein, der sich vom SSB trennte. Ende 2018 entschloss sich der Derendinger Samariterverein – zu dem auch Gerlafingen, Obergerlafingen und Zielebach gehörten –, die Dachorganisation zu wechseln. Der Verein löste sich auf und gründete den Militär-Sanitäts-Verein Aare Nord-Süd. «Der SSB ist eine sehr grosse und deshalb auch etwas träge Organisation, in der die Kommunikationswege lang sind», sagt Präsidentin Kathrin Sutter.

Dem Schweizerischen Militär-Sanitäts-Verband gehören nur 20 Vereine an, den Zentralpräsidenten kann Sutter direkt anrufen. Einfachere Strukturen, mehr Eigenverantwortung: «Das ist genau das, was wir wollten. Die Anforderungen sind bei uns aber genauso hoch wie beim SSB.» Heute gehören neun Gemeinden mit 70 Mitgliedern dem Verbund an, erst Ende 2019 schlossen sich die Samariter Feldbrunnen-Riedholz an.

Wie viele Vereine haben auch die Samariter ein grosses Nachwuchs- und Überalterungsproblem. Vorstände zu besetzen wird vielerorts immer schwieriger. Wie weiter? Diese Frage taucht bei den meisten kleinen Sektionen irgendwann auf. Auflösung oder Fusion sind meist die einzigen Antworten. Auflösungen wolle der Kantonalverband möglichst verhindern, so Stöckli. Man vermittelte beispielsweise im Falle von Oberdorf, wo die Fusion jedoch schlussendlich nicht zu Stande kam. Immerhin hätten viele der Mitglieder nach der Auflösung Anfang Jahr nach Rüttenen gewechselt. «Wenn Vereine Probleme haben, sollen sie zu uns kommen», sagt Stöckli. «Nur dann können wir auch etwas tun.»

Funktioniert haben die Fusionsbemühungen in der Region Grenchen. Die Vereine Grenchen und Selzach führten schon längere Zeit zusammen die Übungen durch. Als 2017 die Präsidentin des Selzacher Vereins zurücktrat und der Posten nicht mehr besetzt werden konnte, lag für die Selzacher nahe, sich mit dem befreundeten Verein zusammenzutun. So entstand der Samariterverein Grenchen und Umgebung.

Für viele sei die Fusion der logische Schritt gewesen, sagt Präsidentin Renate Rüefli. «Es gab aber Leute, die das Gefühl hatten, bei einer Fusion verlieren sie ihren Verein.» Heute hat der Verein rund 50 Mitglieder, 2018 kam Lommiswil dazu, nachdem die Präsidentin kurzfristig ausfiel. Obwohl es um die Mitgliederzahl nicht schlecht steht, schaut Rüefli nicht sorglos in die Zukunft. Der Altersdurchschnitt im Verein sei hoch, sie fürchte, dass es künftig schwierig wird, den Vorstand zu besetzen.

Finanziell gehe es dem Samariterverein gut, trotz der gestiegenen Abgaben. Ein Problem drängt sich jedoch auf, mit dem alle Samaritervereine zu kämpfen haben: die Konkurrenz durch private Anbieter von Nothelferkursen. «Vor ein paar Jahren konnten wir mehrere Kurse mit 15 Teilnehmern durchführen, letztes Jahr knapp einen mit nur sechs Personen», so Rüefli.

Nachfrage nach Nothelferkursen ist stark gesunken

Auch Kantonalverbandspräsidentin Silvia Stöckli betrachtet diese Entwicklung mit Sorge. Durch Paketangebote von Mitbewerbern wie Fahrschulen sei die Nachfrage bei den Samaritern stark gesunken. «Wie wir dieses Problem lösen, wissen wir noch nicht», so Stöckli. Man arbeite jedoch innerhalb des Schweizerischen Samariterbunds mit Hochdruck daran. Eine Möglichkeit sei beispielsweise, stärker auf neue Kursangebote zu setzen.

Auch beim Samariterverein Niedergösgen kennt man das Problem mit den Nothelferkursen. Mehrere Jahre fanden gar keine statt, weil der Kurs überarbeitet werden musste und dafür die Zeit fehlte. Dazu kommt die Konkurrenz, die mittlerweile gemäss Präsident Matthias Graf sehr gross und preisunterschreitend sei. Letztes Jahr fand erstmals wieder ein Kurs statt, auch in den kommenden Jahren plane man, wieder vermehrt welche anzubieten.

Auch finanziell spüre man wegen der gestiegenen Weiterbildungskosten und den «immer höher werdenden Abgaben an den Samariterbund» einen grösseren Druck, so Graf. Dieser glaubt aber, dass sich die Situation mit der Zeit bessern werde. Ein Austritt aus dem SSB habe nie zur Debatte gestanden. «Für einen Verein mit so wenigen Mitgliedern wäre das auch sehr schwierig.» Zurzeit sind es 26 Aktivmitglieder. Das sei in Ordnung, so der Präsident, aber ein paar mehr dürften es dennoch sein. «Wie alle anderen Vereine haben auch wir Mühe, junge Leute zu gewinnen.»

Wie für die Niedergösger steht auch in Grenchen ein Austritt aus dem Samariterbund nicht zur Debatte. Was den SSB betrifft, sei Präsidentin Renate Rüefli jedoch aufgefallen, dass weniger Personal vorhanden sei. Es dauere jeweils länger als früher, bis man auf eine Anfrage eine Antwort erhalte. Was den laufenden Strategieprozess betrifft, ist sie gespannt. «Ich kann mir aber noch nicht vorstellen, was sich genau ändern wird.»

Schweizer Verband sucht neue Formen des Engagements

Das Samariterzelt ist von vielen öffentlichen Veranstaltungen in der Schweiz nicht mehr wegzudenken. Seit 2017 lässt sich der Schweizerische Samariterbund durch den Interverband für Rettungswesen zertifizieren, um den von Veranstaltern geforderten Standards zu entsprechen. So wird sichergestellt, dass Samariter auch zukünftig Sanitätsdienste leisten können. Für Samariterinnen und Samariterlehrer bedeutet dies seit drei Jahren einen grösseren Kosten- und Zeitaufwand durch zusätzliche Kurse und Weiterbildungen.

Von Professionalisierung will Zentralpräsidentin Ingrid Oehen in diesem Zusammenhang jedoch nicht sprechen. «Ziel ist, dass die Samariter in jeder Situation professionell handeln, nicht, dass sie professionelle Rettungskräfte werden.» Im Notfall wie bei einem Herzkreislaufstillstand oder einem Unfall sollen Samariter zudem der ganzen Schweiz nach aktuellen medizinischen Erkenntnissen vorgehen.

Der Schweizerische Samariterbund arbeitet zurzeit an der Strategie «Samariter der Zukunft». Es geht darum, mit den Kantonalverbänden zu erarbeiten, wie das Samariterwesen künftig aussehen soll, welche Strukturen Sinn machen und wie moderne Freiwilligenarbeit funktioniert. «Dabei halten wir daran fest, was einen Samariter ausmacht: Lebensrettung und Erste Hilfe leisten, nicht wegsehen, sondern handeln», so Oehen.

Dorfvereine sollen Kräfte vermehrt bündeln

Ein Grundproblem sei gemäss der Präsidentin, dass die Vereine teilweise noch zu wenig über ihren eigenen Gartenzaun hinausschauen. Aus Angst, die Eigenständigkeit zu verlieren, komme daher in manchen Regionen wenig Zusammenarbeit über die Dorfgrenzen hinweg zu Stande. Man wolle nun neue, innovative Strukturen finden und bei den Vereinen die Lust wecken, die Kräfte zu bündeln. Über einzelne Massnahmen will man im laufenden Strategieprozess noch keine Auskunft geben.

Bei der Entwicklung der Strategie «Samariter der Zukunft» soll dann auch die Basis miteinbezogen werden. «Das wurde früher nicht immer konsequent gemacht», so Oehen. Sie kann daher verstehen, dass sich in der Vergangenheit bei einzelnen Mitgliedern oder Vereinen wie Balsthal Frust aufgebaut habe. «Es ist aber überaus wichtig, dass die Kantonalverbände und Vereine die neue Strategie mitgestalten und mittragen.»