Jetzt sind die Frauen dran!

Jetzt sind die Frauen dran!

Frauen bekommen weniger Kulturförderung und stehen seltener im Rampenlicht. Kulturschaffende erklären, warum das immer noch so ist.

Am Samstag wurde mit dem Argovia-Fäscht die Aargauer Open-Air-Saison eingeläutet. Das Publikum: zur Hälfte Frauen. Auf der Bühne: nur Männer. Weitere 32 Festivals folgen, allein im Aargau. Hier sind lediglich rund 20 Prozent der Hauptacts Frauen. Fast nirgends ist die Untervertretung weiblicher Kulturschaffender so offensichtlich wie in dieser Masse von Sommerkonzerten.

Doch nicht nur auf Festival-Bühnen sind Frauen in der Minderheit. Eine Analyse der Beitragszahlungen des Aargauer Kuratoriums zeigt: Mehr als 60 Prozent aller Einzelpersonen, die in den vergangenen zehn Jahren in irgendeiner Form vom Kuratorium unterstützt wurden, waren Männer. Am deutlichsten sind die Unterschiede in den Sparten Jazz sowie Rock/Pop. Dort gingen rund 20 Prozent der Beiträge an Frauen. In der Literatur waren es 35 Prozent. An dritter Stelle folgt der Bereich Klassik mit rund 40 Prozent. Fast egalitär waren die Beiträge in der bildenden Kunst und in den Sparten Film sowie Theater und Tanz.Ideen sind da, Umsetzung fehlt

Im Prinzip werde bei der Beitragsvergabe nicht auf das Geschlecht der Bewerbenden geachtet, schreibt Kuratoriums-präsident Rolf Keller auf eine erste Anfrage hin. Lediglich bei Jurierungen versuche man, die Geschlechterverteilung «nicht allzu einseitig werden zu lassen». Immer wieder stelle man fest, dass mehr Männer als Frauen Gesuche stellen, je nach Sparte seien die Abweichungen deutlicher. Warum das so ist, darüber liesse sich nur spekulieren, so Keller. Die Geschlechterproblematik sei innerhalb es Kuratoriums, nicht nur bei der Förderung, immer wieder Gesprächsthema. Nach möglicher Frauenförderung gefragt, schreibt Keller: «Im Gesuchswesen beurteilen und fördern wir qualitativ überzeugende kulturelle Vorhaben. Das Geschlecht der dahinterstehenden Personen interessiert letztlich wenig.»

Weiter als der Präsident geht Literaturwissenschaftlerin und Kuratoriumsmitglied Gabi Umbricht. Sie sieht in den Zahlen Handlungsbedarf. «Wir müssen schauen, dass sich mehr Frauen bewerben.» Das Kuratorium habe hier die Möglichkeit, neue Fördergefässe zu schaffen, die auch berufstätige Frauen und Mütter ansprechen. «Was wir auch laufend tun», so Umbricht. Mit der neu eingeführten Übersetzungsförderung habe man bereits einen ersten Schritt in diese Richtung getan. In den letzten zehn Jahren habe man die Geschlechterfrage im Kuratorium wohl einfach zu wenig im Bewusstsein gehabt, so Umbricht. «Wir sind in den Fachbereichen aber dran und arbeiten gegen die ungleiche Verteilung an.»

Ideen für spezifische Förderinstrumente seien durchaus vorhanden, meint sie, und auch in relativ kurzer Zeit umsetzbar. «Allerdings zieht jedes neue Gefäss eine Budgetdiskussion nach sich, da das Geld von irgendwo abgezogen werden muss.» Auch wenn es Bestrebungen gibt, konkrete Massnahmen lassen sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehen.

Erfahrungen der Künstlerinnen

Claudia Storz ist Schriftstellerin und lebt in Aarau und Salzburg. Sie ist eine von den Frauen, die in den vergangenen zehn Jahren vom Kuratorium Fördergelder erhielt. Sie nahm 1991 am Frauenstreik teil, und geht auch heute wieder auf die Strasse. «Weil meine Tochter, die hier in der Schweiz lebt und Kinder hat, heute noch die gleichen Probleme hat wie ich damals.» Die zweite Tochter in Berlin geniesse dagegen Tagesschulen und betreute Aufgabenstunden. Storz’ Familie war damals abhängig von ihrem Gehalt als Schriftstellerin, sie litt unter den unregelmässigen Schulzeiten ihrer Kinder und den fehlenden Betreuungsmöglichkeiten. «Als ich vor 42 Jahren mit dem Schreiben begonnen habe, gab es im Aargau drei Schriftstellerinnen: Erika Burkart, Silja Walter und mich», erzählt sie. Damals sei das schon eine grosse Zahl gewesen. Heute kann der Aargau schon einige Schriftstellerinnen mehr vorweisen. Sie könne sich nicht darüber beklagen, im Literaturbetrieb offen diskriminiert worden zu sein. «Ich habe aber schon gemerkt, dass ich immer kämpfen musste», meint die Autorin. Nach wie vor sei es so, dass die mächtigen und einflussreichen Kulturredaktoren, Feuilletonchefs und Literaturpreis-Juroren mehrheitlich Männer seien, so Storz.

Die Situation auf dem Buchmarkt mache das Ganze nicht leichter, neben den Verlagen seien auch Buchhändler und Medien unter Druck. «Alle müssen immer das Neuste, Beste, Sensationellste haben», erzählt Storz. Unter diesem Druck leiden ihrer Meinung nach besonders die Frauen. «Solange sich an diesen Machtstrukturen nichts ändert, wird sich die Situation auch nicht bessern», kommt Storz zum Schluss.

Sarah Chaksad bewegt sich als Saxofonistin und Jazzmusikerin in einer beinahe frauenfreien Zone. In der Big Band der Aargauerin, dem Sarah Chaksad Orchestra, spielen überdurchschnittlich viele Musikerinnen. Nach den Gründen für die männliche Dominanz im Jazz-Bereich gefragt, kommt Chaksad schnell zum Punkt: «Im Jazz fehlen die weiblichen Vorbilder.» Ausser im Gesang gebe es an keiner Schweizer Jazz-Musikhochschule eine Dozentin im Hauptfach. Der Gesang ist folglich auch der Jazz-Bereich mit dem grössten Frauenanteil. «Aber wenn ich für meine Band eine neue Trompeterin suche, ist es fast unmöglich, eine Frau zu finden.»

Gezielte Nachwuchsförderung, beispielsweise an Gymnasien, wäre für Chaksad ein erster Schritt. Aber auch strukturell müsse sich etwas ändern: «Es braucht mehr Frauen in sämtlichen Gremien, Jurys und Prüfungskommissionen.» Für die Zukunft ist Chaksad hoffnungsvoll gestimmt. Förderprogramme in Skandinavien zeigten, dass es möglich sei, mehr Frauen für Jazz zu begeistern. «Ich hätte einfach gerne mehr Kolleginnen und wünsche mir, künftig öfter auch neben einer Frau auf der Bühne zu sitzen.»

Balance muss stimmen

Etwas weiter mit der Gleichstellung ist die Klassik. Immerhin rund 40 Prozent der geförderten Einzelpersonen der letzten 10 Jahre waren Frauen. Das spüre man auch, meint Daria Zappa. Sie ist Stimmführerin der zweiten Geigen beim Zürcher Kammerorchester und Co-Leiterin des Festivals der Stille in Kaiserstuhl. «In den Orchestern gibt es mittlerweile viele Frauen, je nach Register sind sie sogar in der Mehrheit.» Manche führten das Vorspielen neuer Mitglieder hinter einem Vorhang durch, sodass man sich auf die Fähigkeiten und nicht die Person fokussiert, so Zappa. Auch das Argovia Philharmonic geht so vor, wenn auch nicht primär aus Gründen der Geschlechter-Gleichstellung.

Grössere Geschlechterdifferenzen zeigen sich noch im Bereich der Komposition. Lediglich ein Viertel der Kompositionsbeiträge des Kuratoriums in der Klassik ging seit 2009 an Frauen. «Dieses Ungleichgewicht ist historisch bedingt, aber auch hier ändert sich immer mehr», so Daria Zappa. Als Festival-Organisatorin achtet sie nicht auf das Geschlechter-Gleichgewicht, für sie steht die Qualität im Vordergrund. «Für mich ist wichtig, dass die Balance stimmt und es kein grosses Ungleichgewicht auf eine Seite gibt», sagt die Musikerin.

Am heutigen Frauenstreik-Tag werden zahlreiche Aargauer Künstlerinnen auf die Strasse gehen. Sie kämpfen darum, mit ihrem Schaffen gesehen und ernst genommen zu werden. Ob in der Buchhandlung, im Kunstmuseum oder auf der Festival-Bühne.

Dieser Artikel ist in der Aargauer Zeitung vom 14. Juni 2019 erschienen. Bild: Colin Frei.